Leben und Arbeiten in einer Combat Zone
Wilfried Buchta hat von 2005 bis 2010 als UNO-Senior-Analyst (Senior Political Affairs Officer) für UNAMI) im Irak gearbeitet, die meiste Zeit davon in der International Zone von Bagdad, die als Green Zone bekannt wurde. Die UNO-Zentrale in New York stufte damals ganz Bagdad als Kampfgebiet (combat zone) und als den weltweit gefährlichsten UNO-Missionseinsatzort ein. Das dafür gab es Gründe. Am 19. August 2003 war es zu einem verheerenden Bombenanschlag mit einem Sprengstofflaster gekommen. Der mit 1 Tonne TNT beladene Laster war in das provisorische Hauptquartier der neugegründeten UN-Unterstützungsmission (United Nations Assistance Mission for Iraq/UNAMI), das sogenannte "Canal Hotel" im Südosten Bagdads, hineingefahren. Der Anschlag tötete 21 internationale UNAMI-Mitarbeiter, inklusive des Missionschefs, Sergio De Mello, und verwundete über 200 andere Personen teils schwer. Die UNAMI-Mission wurde daraufhin nach Zypern ausgelagert und kam erst im Januar 2005 zurück in den Irak. Anders als zuvor siedeltet sich UNAMI dieses Mal aber unter dem Schutz der US-Streitkräfte innerhalb der von den USA kontrollierten International Zone (oder Green Zone) an.
Das Areal der Green Zone ist identisch mit der "verbotenen Stadt", dem mit Palästen, Partei-, Propaganda- und Nachrichtenzentren angefüllten Regierungsbezirk der gestürzten Baath-Machtelite von Saddam Hussein. Dieses vor 2003 normalen Irakern nicht zugängliche und ca. 10Km große Areal wurde von der US-Besatzungsmacht in ihre neue Verwaltungszentrale umgewandelt. Dort konzentrierten sich fortan die Botschaften der USA und Großbritanniens, der Sitz von UNAMI und die wichtigsten politischen Institutionen des neuen demokratischen Regierungssystem des Irak, das die USA unter ihren Fittichen heranzogen. Dazu gehörten die Sitze von Parlament und Regierung ebenso wie die Privatresidenzen des Premierministers, des Staatspräsidenten und verschiedener anderer Spitzenfunktionäre. Um die Sicherheit vor Angreifer von außen zu gewährleisten, bauten die US-Streitkräfte ein System von Verteidigungsanlagen und Sprengschutzwällen, das die Green Zone vom Rest Bagdads trennte. Als Eingänge und Ausgänge dienten 12 Check-Points, wo US-Sicherheitspersonal genau kontrollierte, wer hineinging und herauskam. Aber absolute Sicherheit konnte auch das Verteidigungs- und Kontrollsystem der Green Zone nicht garantieren. Denn seit Etablierung der Green Zone im Mai 2003 wurde sie durch Feinde der neuen Ordnung von bestimmten Stadtviertel Bagdads aus regelmäßig mit Granatsalven oder Raketen angegriffen. Wann diese Raketen und Granaten einschlugen und wo, war nie genau vorhersagbar. Auch nach dem Abzug der US-Truppen im Dezember 2011 blieb der Sonderstatus der Green Zone erhalten. Bis heute (2020) dient sie der herrschenden Elite als Machtzentrum und exklusiver Schutz- und Rückzugsraum. Gewöhnliche Iraker haben dorthin nur mit Sondergenehmigung Zutritt.
US-Satellitenfoto der Green Zone aus dem Jahre 2006. Die dicke grüne Umrandung verdeutlicht die Grenzen zum Rest von Bagdad, der "Red Zone".
Dezember 2005
Wilfried Buchta in seiner Funktion als Senior Political Affairs Officer der UN-Friedenmission (UNAMI) auf dem zentralen Helikopterflughafen der US-Streitkräfte in Bagdads Green Zone. Kurz danach fliegt ihn in ein US-Kamphubschrauber ins 800km entfernte Basra im Südirak. Dort wird er von der zentralen Militärbasis der britischen Streitkräfte im Irak aus, eine 10tägige fact-finding Mission durchführen. Durch Gespräche mit lokalen Regierungsvertretern, NGOs und Führern von Milizen und Stämmen wird er ein Lagebild über die krisengeschüttelte und ölreiche Südprovinz entwerfen.
Oktober 2008
Im Vordergrund der Helikopterflugplatz der US-Streitkräfte. In der Mitte rechts sieht man den „Republican Palace“, der Saddam Hussein bis zu seinem Sturz im April 2003 als Regierungszentrale diente. Danach nutzten die US-Militärs das Gebäude als Hauptverwaltungssitz im Irak, bis sie 2009 in die neugebaute US-Botschaft in der Green Zone umzogen.
Hubschrauberflug über einen Teil der Green Zone. Blick auf Warenhallen und Containerlager der US-Streitkräfte innerhalb der Green Zone.
Juni 2008
Blick von oben auf das zentrale Verwaltungsgebäude der UN-Mission, über dessen Eingangstür das blaue Emblem von UNAMI angebracht ist.
Mai 2007
Blick auf den zentralen Verwaltungstrakt des Diwan-Compound von UNAMI, der die Räume für die täglichen Arbeitskonferenzen und das Büro des UNAMI-Missionschefs beinhaltet. Wieder einmal zieht einer der häufigen Sand- und Staubstürme über Bagdad hinweg und taucht Luft und Atmosphäre in gelbe, kaum mit den Augen zu durchdringende Schleier, die das Atmen stark behindern. Wir hatten an 20-30 Tagen pro Jahr Sandstürme, von denen viele 2-3 Tage anhielten und das Leben und die Mobilität stark einschränkten.
Bagdad, Juni 2008
Wilfried Buchta vor dem Schild der UNAMI-Mission in einer Arbeitspause. Das Schild war zu groß und zu schwer um es irgendwo an exponierter höherer Stelle aufstellen zu können. Irgendwann stelle man es achtlos am Rande des Exerzierplatzes des Diwan Compound von UNAMI ab. Das zum Schutz der Mission abgestellte Fidschi-Bataillons übte dort Drills oder veranstaltete Sportwettkämpfe.
Gruppenfoto mit einigen irakischen und internationalen Mitarbeitern des Political Affairs Office von UNAMI in Bagdad.
Blick auf einen Teil des inneren Autoparks. In der Betonschale des Schutzdaches klafft ein Einschlagsloch, verursacht durch einen Granateneinschlag. Wie alle anderen Einrichtungen der Green Zone auch, wurde der Diwan-Compound von UNAMI jede Woche mindestens einmal von Granatensalven der Aufständischen getroffen. Manchmal verursachten sie nur Sachschäden, manchmal auch Verletzte oder auch Tote.
Wagenpark Diwan Compound von UNAMI, September 2008. Buchta besteigt einen US-amerikanischen Humvee-Schützenpanzer. Er will in der gefährlichen Red Zone von Bagdad Vermittlungsgespräche mit irakischen Politikern und Milizenführern durchführen.
Letzte Vorbereitung vor der Abfahrt einiger UNAMI-Mitarbeiter zu einer Red-Zone-Mission, geschützt durch Schützenpanzer-Konvois der US-Armee. Um zwischen Konfliktparteien zu vermitteln oder wichtige irakische Institutionen zu besuchen, führte UNAMI mehrfach wöchentlich Red-Zone-Missions durch. Sie waren immer riskante Unternehmungen, da die Red Zone, die Areale außerhalb der Green Zone, viele Gefahren bargen und man immer mit Angriffen von Aufständischen oder Sprengstofffallen rechnen musste.
März 2007
Der Missions-Konvoi überquert die Grenze zwischen der Green Zone und der Red Zone. Wilfried Buchta ist an Bord von einem der US-Humvee-Schützenpanzer und fotografiert das rote Warnschild auf dem vorausfahrenden Humvee. Dort steht auf Arabisch geschrieben: khatar! ibqa ba´id miat metr (Danger! Stay back 100 meters). Der Warnhinweis gilt irakischen Fußgängern und Autofahrern, die sich dem Konvoi nicht nähern sollen. Tun sie es dennoch, gelten sie als potentielle Angreifer und werden mit MG und Granaten beschossen.
Juli 2006
Seitenansicht des Rashid-Hotels, gesehen vom Parkplatz aus. Das Hotel war von 2005 bis 2007 Schlafquartier für die meisten der knapp 100 UNAMI-Mitarbeiter. Das Rashid-Hotel war sehr exponiert, da seine Sprengschutzmauern nach drei Seiten, Osten, Norden und Westen, direkt an die Red Zone grenzten.
Juni 2006
Blick nach Osten aus meinem Zimmer im Rashid-Hotel. Hinter den Sicherheitsanlagen und den grauweißen Sprengschutzwällen sieht man Wohnviertel der Zivilbevölkerung in der Red Zone. Aus dem heruntergekommenen, mit Baugerüsten eingekleideten Hochhaus hatten sich wiederholt feindliche Scharfschützen eingenistet, die auf das Rashid-Hotel feuerten.
Mein Zimmerfenster war mehrfach von feindlichen Scharfschützen getroffen worden. Glücklicherweise waren die gepanzerten Glasfenster dick und fest genug, so dass die Geschosse nicht durchdringen konnten.
August 2006
Blick aus einem Fenster des Rashid-Hotels gen Westen, wo hinter den Sprengschutzwällen der Zauraa-Vergnügungspark und der städtische Zoo zu sehen sind. Beide Anlagen wurden nach der US-Invasion nicht mehr genutzt und verkamen zu verwilderten Müllkippen. Hinter dem Park sieht man die Silhouette der gewaltigen, nie fertiggestellten Bauruine der „Grand Moschee“, ein architektonisches Vorzeigeprojekt von Saddam Hussein, das religionspolitischen und propagandistischen Zwecken diente. Sie sollte 30.000 Betende fassen und damit zur größten Moschee auf Erden werden. Der Bau sollte die vermeintliche Frömmigkeit des Diktators beweisen, wodurch er sich mehr Popularität unter der Masse der gläubigen Iraker erhoffte.
Mai 2007
Der Torbogen im Hintergrund war einer der vier streng bewachten Haupteingangspforte und Kontrollpunkte für die Green Zone und wurde im Jargon der US-Militärs nur Assassines`s Gate („Pforte der Meuchelmörder“) genannt. Er bildete einen Brennpunkt der Kämpfe zwischen der US-Besatzungsmacht und sunnitischen Aufstandsgruppen. Zwischen 2004 und 2009 kam es hier zu zahlreichen Selbstmordattacken einzelner Attentäter, die hier mit Sprengstoffwesten oder mit Sprengstoff beladenen Autos immer wieder vergeblich versuchten, gewaltsam in die Green Zone einzudringen.
März 2007
UN-Generalsekretär Ban Ki-Mun mit einigen hochrangigen UNAMI-Mitarbeitern bei einer Arbeitsbesprechung über sein Besuchsprogramm im Irak
März 2007
Ban Ki-Moon auf dem Sprecherpodium der Vortragsaula von UNAMI, wo er mit dem irakischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki (2006-2014) über die Arbeitsbilanz von UNAMI diskutiert.
Juni 2006
Die Residenz von UNAMI-Missionschef Ashraf Qazi, genannt „Villa“, diente als Treffpunkt für formelle und informelle Gesprächstreffen und Arbeitsessen. Wilfried Buchta neben dem UNAMI-Vizemissionschef, Michael von der Schulenburg, nach einem Arbeits-Dinner mit einigen führenden US-Militärkommandeuren im Irak. Abschlussfoto mit (rechts) General Eldon Bargewell, Director of Strategic Operations at Multinational Forces Iraq (MNF-I), links General Rick Lynch, spokesman of MNF-I, ganz links außen General Vern “Rusty” Findley.
Juni 2007
Wir stehen am Eingang des Zauraa-Parks. Dort ragt auf einem Truppenparadegelände eine aus Bronze gefertigte Monumentalskulptur 43 Meter in die Höhe. Das von Saddam Hussein 1989 in Auftrag gegebene Monument in Gestalt zweier gigantischer Hände mit gekreuzten Schwertern hat den Namen „Qadisiya-Schwerter“. Es symbolisiert den Sieg in der Schlacht von Qadisiya (638), als die frühen muslimischen arabischen Eroberer des Irak die zoroastrischen Perserarmeen besiegten und vertrieben.
März 2007
Arbeitstreffen mit irakischen Richtern und Parlamentariern in der Residenz des UNAMI-Missionschefs Ashraf Qazi (in der Mitte). Der zweite Mann von links ist der Richter Said al-Hamashi. Er war einer der sechs Richter, die das Sondertribunal gegen Saddam Hussein geleitet haben. Das Tribunal endete im Dezember 2006 mit dem Todesurteil für den gestürzten Diktator. Hamashi und Wilfried Buchta wurden später enge Freunde.
Juli 2010
Wilfried Buchta als Gast seines Freundes, des Richters Said al-Hamashi, der ein Haus in der Green Zone besaß. Da die UNAMI-Mitarbeiter aus Sicherheitsgründen die Green Zone in ihrer Freizeit niemals verlassen durften (Gefahr der Entführung und Tötung), waren private Kontakte zu Irakern sehr selten. Zum Glück konnte ich gelegentlich meinen Freund, den Richter, besuchen, bei ihm zu Abend essen und mich zwanglos unterhalten.
Juni 2010
Wilfried Buchta im Regierungspalast nach Verhandlungen mit dem damaligen irakischen Vizepräsidenten Adil Abdulmahdi. Abdulmahdi galt und gilt als Chamäleon der irakischen Politik und als unerreichter Meister der politisch-opportunistischen Anpassung. War er noch in den frühen 1960er Jahren Mitglied der Baath-Staatspartei von Saddam Hussein, wechselte er in den 1970er Jahren zu den oppositionellen Kommunisten, nur um sich Anfang der 1980er Jahre zu dem Iran-loyalen Lager der schiitischen Opposition anzuschließen. Die Krönung seiner Karriere erreichte er im Oktober 2018, als er als Kompromisskandidat ohne eigene Hausmacht von widerstreitenden schiitischen Parteiblöcken zum Premierminister gewählt wurde. Politisch gescheitert, blieb Abdulmahdi im Mai 2020 nur noch der Rücktritt.
August 2008
Wilfried Buchta am Ende von Gesprächen mit Ibrahim al-Jaafari, dem langjährigen Chef der oppositionellen Daawa-Partei. Jaafari war von Mai 2005 bis Mai 2006 Regierungschef der ersten aus freien, demokratischen Wahlen hervorgegangenen Regierung des Irak. Als der schiitisch-konfessionelle Bürgerkrieg im Februar 2006 ausbrach und das Land ins Chaos riss, agierte er planlos und ohne Fortune und musste schließlich das Amt des Premierministers an Nuri al-Maliki abtreten.
September 2007
Wilfried Buchta am Ende von Gesprächen mit Ayyad Allawi, dem Führer von IRAQIYA, einer irakisch-nationalistischen, säkularen und anti-iranischen Parteienallianz im irakischen Parlament. Allawi war von 2004 bis 2005 Premierminister der von den US-Besatzungsmächten eingesetzten Übergangsregierung des Irak. Bei den ersten freien demokratischen Wahlen kam seine Parteienallianz aber nur auf den zweiten Platz und er musste sein Amt für einen pro-iranischen Nachfolger räumen.
Geboren 1961 in Herne/Westfalen.
Universitätsstudium (Diplom) für Arabisch und Persisch in Bonn.
Studium der Islamwissenschaft, Politologie und Religionswissenschaft in Bonn. Längere Feldforschungen in Iran. Promotion über die Religionspolitik der Islamischen Republik Iran. Leiter des Arabischen Dienstes der Deutschen Welle (DW) in Köln (1995-96). Landesbeauftragter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rabat/Marokko (1998-2001). Nahost-Projekt-Direktor für International Crisis Group in Amman/Jordanien (2001-2002). Lehrbeauftragter am Seminar für Islamstudien der Humboldt-Universität Berlin (2003). Senior Politikanalytiker für die UNO-Friedensmission (UNAMI) in Bagdad/Irak (2005-2011). Lebt als Politikberater, Publizist und Autor in Berlin.
Sachbuchautor und Publizist